Twitter setzt auf Werbung als einzige Einnahmequelle und will dafür (Pageviews! Reichweite!) die eigene Plattform unter Kontrolle bekommen. Nun wurden die ersten konkreten Änderungen bekanntgegeben.
GIGA hat eine gute Zusammenfassung der Veränderungen:
Ein Client darf nun nur noch 60 mal pro Stunde die Twitter-API aufrufen, zuvor waren es noch 350 API-Aufrufe. Davon sind allerdings nicht alle API-Calls betroffen. So fällt etwa das Aufrufen von Profilen und die Suche nach Nutzern unter ein höheres Limit mit 720 Aufrufen pro Stunde.
Durch die heute vorgestellten Änderungen limitiert Twitter effektiv aber auch die maximale Zahl der Nutzer, die ein inoffizieller Client jemals haben kann. Ohne spezielle Erlaubnis dürfen nur 100.000 Nutzer einen Dienst nutzen. Ausnahme sind Apps, die bereits jetzt mehr als 100.000 Anwender haben. Diese dürfen auf bis zu 200 Prozent der heutigen Zahl wachsen.
Diese Begrenzung auf 100.000 User mag groß erscheinen, ist sie aber nicht. Sie trifft sogar kleine Nebenfeatures bei kleinen Diensten wie Instapaper:
Instapaper’s “Liked By Friends” feature reads timelines and will need more than 100,000 tokens. And that’s a relatively minor feature in a small web service run by one guy.
Besonders Regel 5a hat weitreichende Auswirkungen:
[5a] Tweets that are grouped together into a timeline should not be rendered with non-Twitter content. e.g. comments, updates from other networks.
In other words, apps cannot interleave chronological groups of Twitter posts with anything else.
This is very broad and will bite more services and apps than you may expect. It’s probably the clause that caused the dispute with LinkedIn, and why Flipboard CEO Mike McCue just left Twitter’s board.
Closer to home for me, it affects Instapaper’s “Liked By Friends” browsing feature, which will need to be significantly rewritten if I want it to comply. (If.)
Naturally, this also prohibits any client from interleaving posts from Twitter and App.net, or any other similar service, into a unified timeline.
Davon ebenfalls betroffen sind Apps wie die populäre Chrome-/Firefoxerweiterung Yoono.
Die Überlegung von Twitter: Sie sind groß genug, um von Entwicklern und Usern genutzt zu werden, ohne mit anderen Networks zusammengeworfen zu werden. Das Ergebnis kennt man aus dem Instant-Messaging-Markt: Während nahezu jedes IM-Network in einem allgemeinen Client genutzt werden kann, läuft Skype nur über den eigenen Client. Macht das Skype attraktiver? Nein. Aber es erlaubt Skype das Schalten von Werbung.
Twitter wird künftig nicht mehr in Apps wie Flipboard vertreten sein.
Wer glaubt, dass das Mainstreamuser nicht treffen wird, unterschätzt die Popularität von Flipboard und ähnlichen Diensten.
Das alles ist gut für das Web, wie ich schon einmal schrieb: Endlich wird die Kreativität der Entwickler wieder frei und beschränkt sich nicht auf Twitter, das bis vor kurzem noch das naheliegendste Ziel war. Auf Twitter entwickeln ist ein gefährliches Geschäft geworden, das sich nicht mehr lohnt. Selbst wenn man heute noch unter die erlaubten Apps fällt: Wer weiß schon, was sich Twitter morgen ausdenken wird?
Denn das hier ist keine leichte Richtungsänderung; das ist ein Strategiewechsel um 180 Grad.
Marco Arments (Instapaper, Ex-Tumblr) Fazit:
But Twitter has proven to be unstable and unpredictable, and any assurances they give about whether something will be permitted in the future have zero credibility.
I sure as hell wouldn’t build a business on Twitter, and I don’t think I’ll even build any nontrivial features on it anymore.
And if I were in the Twitter-client business, I’d start working on another product.
Zu dem gleichen Ergebnis dürften künftig noch mehr Entwickler und Investoren kommen als bereits seit der Übernahme von Tweetie.
Für Twitter, das auf die kurzfristige Profitentwicklung achten muss, dürfte das vorerst egal sein. Vorerst.
Mit der Vernichtung der Plattform beginnt auch die Vernichtung der Bedeutung von Twitter. Was gut für das Web ist, ist schlecht für die mittel- bis langfristige Position von Twitter. Twitter mag glauben, dass sie groß genug sind, um ohne die kleinen und großen Apps auszukommen. Twitter wird aber lernen, dass viele kleine Nadelstiche auch zum Tod führen können.
Twitters Ringen mit der eigenen Plattform begleiten wir hier schon länger:
- Cards: Der neue Plattform-Plan von Twitter wird konkret
- Twitter-CEO: Wir wollen uns von Unternehmen abwenden, die Twitter bei sich einbinden
- Twitters Kampf gegen die eigene Plattform geht in die nächste Runde
- Twitters Shit-Sandwich
- Twitter: Der Niedergang einer Plattform
- Suboptimale Plattform-Strategie von Twitter ist gut für den Rest des Webs
- Strategische Fehlentscheidung: Twitter kauft Mac-/iPhone-Client Tweetie
Martin Weigert says
„Twitter wird künftig nicht mehr in Apps wie Flipboard vertreten sein.
Wer glaubt, dass das Mainstreamuser nicht treffen wird, unterschätzt die Popularität von Flipboard und ähnlichen Diensten.“
Worauf basierst du diese Aussage?
Flipboard hat nicht einmal zehn Millionen Nutzer (die letzte offizielle Zahl aus dem Dez 2012 war 5 Mio).
Von denen werden auch nicht alle Flipboard mit Twitter verbunden haben.
Und welche „ähnlichen“ Dienste haben eine ähnlich große oder größere Reichweite wie/als Flipboard und sind parallel dazu eng mit Twitter verknüpft?
Ich sehe nicht, dass der „Mainstreamuser“ tatsächlich in dem Maße tangiert wird, wie von dir prognostiziert.
Matthias Schonder says
Das bezieht sich hierauf: „[5a] Tweets that are grouped together into a timeline should not be rendered with non-Twitter content. e.g. comments, updates from other networks.“
Und das bedeutet nichts anders, als das Tweets nicht mit Inhalten von anderen Anbietern/Seiten vermischt werden dürfen.
Der Schritt des Flipboard CEO den Twitter-Aufsichtsrat zu verlassen ist ein weiteres Indiz dafür, dass da keine als zu gute Stimmung herrscht.
Marcel Weiss says
„Und welche „ähnlichen“ Dienste haben eine ähnlich große oder größere Reichweite wie/als Flipboard und sind parallel dazu eng mit Twitter verknüpft?“
Pulse hat z.B. laut eigenen Aussagen über 13 Mio. Nutzer. http://venturebeat.com/2012/03/09/pulse-local/ Auch die werden nicht alle Pulse mit Twitter verknüpfen. Aber diese Apps haben nicht gerade wenige Nutzer, und nicht wenige werden Twitter verknüpfen. Aber das ist auch nicht der Punkt. Wenn Twitter in allen diesen Apps wegfallen würde, in Verbindung mit eingeschränkter oder entfernter Verknüpfung in Diensten wie Instapaper? Viele Nadelstiche.
Wenn du glaubst, dass das ausgerechnet für Twitter keine größeren negativen Auswirkungen haben wird, dann frage ich mich, warum du an anderen Stellen für Plattformen argumentierst. Denn konsequenterweise bedeutet diese Sicht, dass Webplattformen maximal marginale wirtschaftliche Bedeutung für ihre Provider haben, wenn die Abschaffung nicht einmal für einen bisher so dezentral Wert für den User schaffenden Dienst wie Twitter Konsequenzen haben soll.
(Weil du dich immer leicht persönlich angegriffen fühlst: Ich meine das ernsthaft nur auf inhaltlicher Ebene und sehe da eine Diskrepanz, die ich nicht nachvollziehen kann.)
Frank Felix Debatin says
Was mir ein Rätsel ist, jetzt mal unabhängig davon, dass die Web-2.0-Gemeinde ein wichtiges Kulturgut verliert: warum nicht einfach das API kostenpflichtig machen? Der einfachen, uralten betriebswirtschaftlichen Logik folgend: es ist begehrt, aber soll nicht umsonst hergegeben werden.
Marcel Weiss says
Es ist nicht gegeben, dass Twitter damit den Profit kurzfristig maximiert. Ein Opt-out aus der Werbung für diejenigen, die von den Werbekunden gerade begehrt werden? Das kann massive Auswirkungen auf die Werbepreise haben. (Es bleiben nur die, die sich den opt-out nicht leisten können etc.) Das ist ja das Dilemma von Twitter: die kurzfristige Gewinnmaximierung, die zu recht mittlerweile von den VCs eingefordert wird, unterminiert die langfristige strategische Positionierung. Umgekehrt kann Twitter letztere wohl nur mit geringerem Gewinn halten. (Was ich allerdings nach wie vor für noch nicht erwiesen halte. Also den geringeren Gewinn.)
MacSnider says
Es ist gut dass das passiert? Ich will nicht x-tausend verschiedene Netzwerke wo sich mal der und mal der tummelt.
Martin Weigert says
Mein Einwurf hier und in meinem Artikel bei netzwertig.com zum Thema bezieht sich auf das Selbstverständnis der techversierten Nutzer, dass Twitter ohne sie und die paar Apps nicht überleben könnte.
Das heißt jedoch nicht, dass ich persönlich Twitters Strategieschwenk gutheiße oder dass ich an der Kraft von Plattformen zweifle. Aber es ist doch so, dass Twitter mit seiner Plattform noch nie das volle Potenzial ausgeschöpft hat. Auch schon früher nicht. Ich entsinne mich sogar, dass du mal einen Beitrag dazu verfasst hast, wie Twitter dabei versagte, Apps sinnvoll und mit großer Sichtbarkeit zu integrieren (z.B. durch Fehlen eines App Verzeichnisses)
Es gibt also keine Diskrepanz.
Twitter hätte als Plattform langfristig sehr viel mehr Potenzial, ja. Dafür wären aber schon vor 2-3 Jahren entsprechende strategische Entscheidungen notwendig gewesen. Dies wurde versäumt, und nun glaube ich, dass dieser Zug abgefahren ist – weil Twitter eben jetzt nicht mehr den finanziellen Spielraum hat, um nochmal zwei bis drei Jahre die Monetarisierung zurückzustellen.
Ich sehe nach wie vor Potenzial, dass Twitter zu einem großen Erfolg wird. Auch mit einer mehr dem Walled Garden ähnelnden Strategie. Ob das dann langfristig anhalten kann, steht auf einem anderen Blatt. Und wir werden nie erfahren, wie viel besser es gelaufen wäre, hätte man den Weg als Infrastrukturanbieter gewählt.
Marcel Weiss says
„Mein Einwurf hier und in meinem Artikel bei netzwertig.com zum Thema bezieht sich auf das Selbstverständnis der techversierten Nutzer, dass Twitter ohne sie und die paar Apps nicht überleben könnte.“
Ich glaube nicht, dass irgendjemand denkt, Twitter würde die Geeks als User vermissen. Und „die paar Apps“? Was passiert, wenn Twitter die Tweetweiterleitung an Facebook und co. um jeden Preis verhindern will?
„Twitter hätte als Plattform langfristig sehr viel mehr Potenzial, ja. Dafür wären aber schon vor 2-3 Jahren entsprechende strategische Entscheidungen notwendig gewesen. Dies wurde versäumt, und nun glaube ich, dass dieser Zug abgefahren ist – weil Twitter eben jetzt nicht mehr den finanziellen Spielraum hat, um nochmal zwei bis drei Jahre die Monetarisierung zurückzustellen.“
Ja, das sehe ich ähnlich. Es ist generell verwunderlich, wie lang das alles gedauert hat. Ich befürchte mittlerweile auch, dass Twitter kein sehr gut organisiertes Unternehmen ist. Interessant ist ja auch, dass von den Gründern fast keiner mehr dabei ist.